Eine Landschaft, die nie fertig ist

Ablagern, einwachsen, erodieren

Wie bereits im Kapitel „Der wild gewordene Inn“ beschrieben, ist die unterschiedliche Fliessgeschwindigkeit Schuld, dass der Inn hier erodiert und dort ablagert. Er verändert und verschiebt dauernd seine Kiesbänke.
Dabei verändert sich zwangsläufig auch die Breite seines Hauptarms. Eine neu abgelagerte Kiesbank verengt den Flusslauf und beschleunigt ihn, der Fluss erodiert und tieft sich ein. Schnellfliessende und langsamfliessende Bereiche und mit ihnen Erosion und Sedimentation wechseln sich ab und verändern auch immer wieder ihre Position.

Hochwasser als willkommene Umgestalter

Für grosse Veränderungen im Flussbett wie das Anlegen neuer Flussarme, das Aufschütten neuer Kiesbänke oder das Wegspülen eines vorstehenden Uferbereichs sind die grösseren Hochwasser verantwortlich. Hochwasser sind also wichtig, sie spülen den revitalisierten Abschnitt so richtig durch. Ohne Hochwasser würden die bestehenden Kiesbänke langsam von der Vegetation besiedelt und zuwachsen. Die Deutsche Tamariske, der Flussuferläufer und der Flussregenpfeifer würden verschwinden und am Schluss würden Bäume wie Fichte oder Lärche wachsen, die nicht in ein Auengebiet gehören. Genau das ist aber nicht gewünscht, denn offene Kiesflächen sind wichtige und in der Schweiz sehr seltene gewordene Lebensräume. Also sind grössere Hochwasser alle paar Jahre einmal als Umgestalter eine willkommene und wichtige Sache.

Zerstörte Vegetation, gefällt uns das?

Offene, unbewachsene, frisch überspülte Kiesbänke wollen wir also erhalten, da sie wertvolle Lebensräume bedeuten. Nur, gefällt uns das? Vor dem Hochwasser wuchsen hier noch farbenprächtige Blumen und die Weiden entfalteten soeben die ersten, zarten Blätter, und jetzt ist alles weg, nur noch ein kahler Ast mit etwas Wurzelwerk erinnert daran, dass hier mal Leben war? Wir werden akzeptieren müssen, dass ein Hochwasser die bunten Blumen, jungen Sträucher und das erste zarte Grün einfach wegspült und eine leblose Kieswüste hinterlässt. Doch wir wissen, dass dies ein wertvoller Lebensraum ist.
Was uns Menschen gefällt und was für seltene Tier- und Pflanzenarten ein wertvoller Lebensraum ist, das passt nicht immer zusammen. Die Natur fragt nicht, ob sie uns gefällt. Und der Inn fragt nicht, wo wir denn die offenen Kiesbänke am liebsten hätten und wo lieber nicht. Daran müssen wir uns wohl gewöhnen.